Willy-Brandt-Schule Kassel
Willy-Brandt-Schule Kassel

Lernen am Flächenbuffet

Das Flächenbuffet gilt als „kleine Schwester“ des Weltackers (s. Infotext). Hier werden unterschiedliche Gerichte mit allen notwendigen Zutaten entsprechend der Menge und Fläche angebaut, die für die Produktion einer Mahlzeit für eine Person nötig ist. Außerdem wird angegeben, wie viele Kalorien das Gericht liefert und welcher Anteil an der täglich verfügbaren Ackerfläche für diese eine Mahlzeit verbraucht wird. Auf dem Kastanienhof der Familie Hüppe, die etwa 130 Hektar nach Bio- land-Richtlinien bewirtschaftet und seit 2020 Mitglied im Netzwerk Demonstrati- onsbetriebe Ökologischer Landbau ist, wurden für den Lernort Bauernhof drei Flächenbuffets mit jeweils hofeigenen Kulturen angelegt–ein veganes, ein vegetarisches Gericht und ein Gericht mit Fleisch:

  • Der Salat mit Brötchen beansprucht mit 0,43 Quadratmeter etwa zehn Prozent der täglich verfügbaren Ackerfläche, liefert aber auch nur 423 Kalorien.
  • Für einen Kartoffelbrei mit Spiegelei und Spinat werden insgesamt 0,95 Quadratmeter beansprucht. Das sind 22 Prozent der Tagesackerfläche. Dabei dienen 0,45 Quadratmeter nur der Ernährung der Legehenne für die Produktion von zwei Eiern. Das Gericht liefert 632 Kalorien.
  • Der Hähnchenschenkel mit Bratkartoffeln beansprucht 2,92 Quadratmeter, also 69 Prozent der Tagesackerfläche, und liefert 1.122 Kalorien.

 

Das Flächenbuffet soll die Besucherinnen und Besucher nicht belehren. Es ermöglicht vielmehr durch die unmittelbare Anknüpfung an die eigene Lebenswelt eine Reflexion von Konsumgewohnheiten und legt offen, welche Konsequenzen diese in einer globalisierten Welt haben. 

 

Das Unterrichtsprojekt

Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 der Fachoberschule Agrarwirtschaft der Willy-Brandt-Schule besichtigten mit ihrem Lehrer Christian Heinemann das Flächenbuffet auf dem Kastanienhof und erarbeiteten Handlungsoptionen für einen verantwortungsvollen Flächenver-

brauch. Des Weiteren sollten die Schülerinnen und Schüler Ideen entwickeln, welche Rolle der Lernort Bauernhof für das Hofmarketing spielen kann. Diese führten sie dann im Unterricht unter marketingstrategischen Gesichtspunkten fort.

 

Nach einer kurzen Einführung in das Konzept des Flächenbuffets durch die Betriebsleiterin Katharina Hüppe folgte in der Phase der Problematisierung eine erste Sensibilisierung für das Thema:

Die Schülerinnen und Schüler waren aufgefordert, verschiedene Gerichte, wie zum Beispiel Pizza, Nu-deln mit Tomatensauce oder Steak, ihrem Flächenbedarf nach anzuordnen. Hierzu nutzten sie zur Selbstkontrolle den Flächenrechner www.mym2.de, der von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft entwickelt wurde. Dort sind nicht nur Standardgerichte mit ihrem jeweiligen Flächenfußabdruck, den im Gericht enthaltenen Kalorien und dem Anteil an der täglich verfügbaren Ackerfläche hinterlegt, sondern durch das manuelle Hinzufügen einzelner Zutaten lässt sich auch der Fußabdruck von Lieb-lingsgerichten berechnen.

 

In der anschließenden Arbeitsphase erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen, inwiefern

  • Flächenversieglung und -degradierung, 
  • Flächenkonkurrenz zwischen menschlicher und tierischer Ernährung, 
  • Flächenkonkurrenz zwischen der Lebensmittelproduktion und dem Anbau nachwachsender Rohstoffe sowie
  • der Zugang zu Land und Land Grabbing (Landraub)

einen verantwortungsvollen, global gerechten Umgang mit verfügbaren Ackerflächen beeinflussen.

Die Schülerinnen und Schüler konnten bei der Erarbeitung des jeweiligen Themas auf eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien (Videos, Blogposts, Instagram-Beiträge, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, wissenschaftliche Publikationen) zurückgreifen und so eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen. Jede Gruppe erstellte ein Poster zur Ergebnissicherung und präsentierte dies im Rahmen eines abschließenden Gallery Walks (Galerierundgang) in der Großgruppe.

 

Stellung beziehen

In der abschließenden Reflexionsphase waren die Fachoberschülerinnen und -schüler gefordert, zu ausgewählten Aussagen auf einer Skala von „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“ Stellung zu beziehen:

  • Die Ausweisung von neuen Industrie-  und Siedlungsgebieten ist notwendig.
  • Fleisch gehört zu einer „guten Ernährung“ dazu.
  • Die Nahrungsmittelerzeugung zur Beseitigung von Hunger hat Vorrang vor allen anderen Formen der Landnutzung.
  • Die Landrechte Indigener haben Vorrang gegenüber Interessen von Investoren.

 

Die von den Schülerinnen und Schülern gewählten Positionierungen führten zu einer lebhaften Diskussion. Es wird einmal mehr deutlich, dass es auf viele schwierige Fragen keine einfachen Antworten gibt.

Zur Festigung des erworbenen Wissens und Transformation bietet sich an dieser Stelle oder im anschließenden Unterricht die Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs für einen verantwortungsvollen Flächenverbrauch an. Dabei sollte der Fokus auf Maßnahmen gelegt werden, die von den Teilnehmenden aktiv mitbeeinflusst werden können. Zu jeder Maßnahme soll zudem ein Tipp zur Umsetzung und zur Überwindung gegebenenfalls auftretender Hürden genannt werden. 

 

Link www.mym2.de 

Der Flächenrechner berechnet, wie viel Ackerfläche ein Gericht benötigt.

 

Ein weiterer Aspekt des Projekts ist die Fragestellung, welches Potenzial ein solches Flächenbuffet für das Hofmarketing entfalten kann und wie es ganz konkret in entsprechende Marketingmaßnahmen eingebunden werden kann. Das sind thematische Schwerpunkte, die auch im Rahmen der landesweiten zentralen Abschlussprüfungen der Fachoberschule in Hessen relevant sind.

Die Schülerinnen und Schüler erhalten hier die Möglichkeit, konkrete Impulse aufzunehmen und wichtige Informationen bezüglich des vorhandenen Marketings zu sammeln. Diese finden dann bei der Gestaltung konkreter Maßnahmen insbesondere im Feld der Kommunikationspolitik Anwendung.

 

Das Weltackerprojekt 

„Was steht mir denn eigentlich zu?“ ist die zentrale Frage, die mit dem von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft entwickelten und in Berlin angelegten Weltacker beantwortet werden soll. Im Lehr- und Lerngarten in Berlin Pankow hat man daher die weltweit der Menschheit zur Verfügung stehende Ackerfläche durch die derzeitige Weltbevölkerung geteilt. So kommt man auf eine Fläche von knapp 2.000 Quadratmeter, die jeder Person weltweit jährlich zusteht. Darüber hinaus können etwa 4.000 Quadratmeter als Wiesen-  und Weideflächen indirekt über den Konsum tierischer Produkte für die menschliche Ernährung von jedem Menschen genutzt werden. Die Ackerfläche dient dem Anbau von Lebensmitteln, Genuss- und Heilmitteln, nachwachsenden Rohstoffen, Futtermitteln oder auch Textilfasern.

Der Weltacker illustriert anschaulich, wie die 2.000 Quadratmeter heute genutzt werden, indem die weltweit wichtigsten Ackerkulturen in ihren tatsächlichen Anbauverhältnissen angepflanzt werden. Es zeigt: Die Deutschen leben „auf großem Fuß“. Um den Konsum der Deutschen bedienen zu können, werden zusätzlich zu den etwa elf Millionen Hektar eigener Ackerfläche weitere zehn Millionen Hektar virtuell importiert: zum Beispiel für Frühkartoffeln aus Ägypten oder Südfrüchte, Kaffee und Tee, aber überwiegend, um die deutschen Nutztiere zu ernähren. Die Konsequenzen sind: Bodendegradation und Desertifikation in den Exportländern und eine durch den Nährstoffimport bedingte Eutrophierung von Flächen und Gewässern hier vor Ort, was maßgeblich das Artensterben befördert. Darüber hinaus kommt es in den Exportregionen des globalen Südens zu Gewalt gegen die indigene Bevölkerung, Vertreibung, Landraub und Lebensmittelunsicherheit sowie einem Mangel an Ernährungssouveränität

 

Fazit

In der abschließenden Evaluation waren sich die Schülerinnen und Schüler einig: In besonders anschaulicher Weise lassen sich Bezüge globaler Fragestellungen und Themen vor Ort ausmachen und in ihrer Bedeutung erkennen. Hierauf aufbauend können Alternativen für die Region erarbeitet werden ganz nach dem Motto: global denken, lokal handeln. Im Unterrichtsprojekt konnten über einen praxisnahen Zugang konkrete Fragestellungen mithilfe fachwissenschaftlicher Modelle geklärt werden. Somit erarbeiteten sich die Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten zu einem in doppelter Weise nachhaltig wirksamen Erkenntnisgewinn.

Die Autor*innen

Katharina Hüppe B.Sc. Agrarwissenschaften, Betriebsleiterin auf dem Kastanienhof
Christian Heinemann Dipl. Ing. OStR, Lehrer an der Willy-Brandt-Schule Kassel c.heinemann@wbs-kassel.com

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